Zwischen Optimierung und Verdeckung – Die weiße Übermalung

Koy Bendull Vernissage 28.3.2024
Die wirtschaftliche Eleminierung der Farben zur Einheitsfarbe Weiß. Doch darunter brodelt es noch. Die Vermessung der Primärfarben konnte nicht alles weißeln.
Die Werke dieser Serie basieren auf originalen Standardgraphen von McKinsey & Company, jenen ikonischen Kunststoffschablonen, die vor zwei Jahrzehnten weltweit an Klienten verteilt wurden. Vergrößert auf monumentales Format und mit deckender, doch durchscheinender Weißschicht überzogen, werden sie zu Symbolen einer Epoche, in der Optimierung, Effizienz und strategische Kontrolle zum Leitbild der globalen Wirtschaft wurden.
Unter dem Weiß blitzen Primärfarben auf, Erinnerungen an eine vielfältige Welt, die trotz aller Standardisierung nicht vollständig ausgelöscht werden konnte. Die Gemälde zeigen die Ambivalenz des Beratungsblicks: das Streben nach Ordnung und Vermessung, aber auch die Risse im System, durch die Unplanbares und Lebendiges zurückkehrt.
Was einst Werkzeug der Macht war, genutzt von Beratern, die später CEOs und Entscheidungsträger der westlichen Wirtschaft wurden, erscheint hier als kritisches Artefakt. Die Kunst legt die Struktur des Denkens frei, das unsere ökonomische Realität prägt, und eröffnet zugleich einen Raum, in dem sich die Welt der Messbarkeit entzieht.
The economic elimination of colors into the uniform color white. But underneath, things are still simmering. Measuring the primary colors couldn't whiten everything.
STANDARD TEMPLATES – Measuring the World
This series is based on original McKinsey & Company standard templates iconic plastic tools once handed out to clients around the globe. Enlarged to a monumental scale and coated with a thick yet translucent layer of white paint, they become symbols of an era defined by optimization, efficiency, and strategic control.
Beneath the white surface, primary colors shimmer through reminders of a diverse world that resists complete standardization. The paintings reveal the tension inherent in the consulting gaze: the desire to measure and order the world, and the cracks through which the unpredictable and the human re-emerge.
What once served as an instrument of power used by consultants who would later become CEOs and shape the executive structures of Western economies is transformed here into a critical artefact. The works expose the frameworks that shape contemporary economic thought, while opening a space in which the world escapes quantification.



Die Vermessung der Welt – und das Flackern des Verborgenen
Ein Essay über die Serie „Standardgraphen“, entstanden aus den ikonischen Templates von McKinsey & Company
Es gibt Objekte, die im kulturellen Gedächtnis nicht wegen ihrer ästhetischen Präsenz überdauern, sondern wegen ihrer Funktion als Werkzeuge der Macht. Die Standardgraphen von McKinsey & Company gehören zweifellos zu diesen Artefakten. Ursprünglich als nüchterne Hilfsmittel für Präsentationen, Strategiefolien und „Executive Decision Making“ gedacht, wurden sie einst im Dutzend an Klienten und Partner verschenkt, eine Art beruflicher Talisman, der nicht nur das Handwerk, sondern auch die Ideologie einer der einflussreichsten Beratungsgesellschaften der Welt verkörperte.
Heute erscheinen diese längst obsolet gewordenen Kunststoffschablonen in einer völlig neuen Lesart: transformiert zu großformatigen Malereien, in Farbe getaucht, von Weiß überzogen, und dennoch durchscheinend wie Spuren einer Welt, die sich gegen ihre eigene Optimierung zur Wehr setzt. Was wir hier sehen, ist nicht nostalgische Reproduktion, sondern eine kritische museale Rekontextualisierung; eine künstlerische Revision des globalen Beratungsblicks.
I. Das Artefakt der Beratung, McKinsey als globaler Architekt des Denkens
McKinsey & Company, häufig beschrieben als „most influential consulting firm on earth“, bildet seit Jahrzehnten eine Art Schattenarchitektur der internationalen Wirtschaft. Ihre Alumni werden CEOs multinationaler Konzerne, Minister, Aufsichtsräte, Investmentarchitekten. Ihre Methoden prägen Entscheidungsprozesse, ihre Frameworks strukturieren Märkte, ihre PowerPoint-Folien definieren, oft unbemerkt, die Parameter, innerhalb derer wirtschaftliche Realität modelliert wird.
Der Standardgraph, im ursprünglichen Sinne ein banales Zeichentool, ist dabei mehr als nur ein Stück Kunststoff. Er ist ein Symbol der methodischen Welterklärung:
Kreise für Märkte und Submärkte,
Rechtecke für Profitpools,
Pfeile für Wachstumslogiken,
Rhomben für Entscheidungsknoten,
Skalen zur Quantifizierung des Unquantifizierbaren.
Die Schablone ist ein Ordnungsinstrument: Sie bietet dem Berater die Illusion totaler Durchdringung, Daten als Welt, Welt als Diagramm.
II. Zwischen Optimierung und Verdeckung – Die weiße Übermalung
Die neuen Gemälde nutzen diese Schablonen als strukturelles Zentrum, doch der Künstler führt einen entscheidenden Eingriff durch: alles wird mit Weiß übermalt. Nicht deckend, nicht final, sondern in einem Zustand der Ambivalenz. Die weiße Masse wirkt wie ein Versuch der Reinigungsoperation, wie eine unternehmerische „Blank Slate“-Strategie, wie das Narrative eines „Reset to Zero“.
Doch das Weiß scheitert.
Und im Scheitern zeigt sich Wahrheit.
Unter der schweren Schicht, die an Gips, Korrekturflüssigkeit oder überschminkte Firmenbilanzen erinnert, schimmern Primärfarben hervor, ein leises Aufbegehren gegen die Glättung. Es ist, als hätte die Optimierungsmaschinerie versucht, die unkontrollierte Vielfalt der Welt zu standardisieren und zu abstrahieren, und dennoch haben sich Pigmente, Flecken, Unregelmäßigkeiten durch die Deckschicht gebohrt.
Die Werke erinnern damit an die Folgen großskaliger Transformationsprogramme, wie man sie aus der Beratung kennt: „Reorganization“, „Restructuring“, „Operational Excellence“. Und doch bleibt, trotz aller Zielkorridore und KPIs, stets ein Restchaos, ein Nicht-Optimierbares.
III. Farbe als Erinnerung: Die primäre Welt hinter der Whitewash-Strategie
Die Farbvarianten der Schablonen, Blau, Gelb, Grün, Rot, Orange, sind keineswegs rein dekorativ. Sie funktionieren wie Rückblenden in eine Ära, in der diese Tools im Konferenzraum lagen, auf Poliertischen über Diagramme glitten, mit Filzstift-Markierungen versehen, von Präsentationslicht beleuchtet. Farbe wird hier zum historischen Dokument.
Die Oberflächen der Bilder wirken vergrößert wie fotografierte Dokumente, die man unter eine Lupe gelegt hat. Und tatsächlich wurden sie skaliert: von etwa 30 cm auf monumentale 120 cm Länge. Dieser Maßstabssprung erhebt das Werkzeug zu einer Art Totem. Was früher in der Aktentasche verschwand, steht jetzt wandfüllend vor uns, unvermeidlich wie die Präsenz globaler Beratung selbst.
Der Künstler dehnt das banale Objekt auf Museumsformat und erzeugt damit jene kritische Distanz, die nur Kunst herzustellen vermag. Die Schablone wird zur Metapher für eine Epoche: die Epoche der Standardisierung, der Benchmarking-Logik, des „Best Practices“-Imperativs, der KPI-Kontrolle.
IV. Die unsichtbare Welt der Berater – Netzwerke, Einfluss, Exekutivmacht
Jeder, der sich mit der Geschichte von McKinsey & Company beschäftigt hat, kennt ihre Macht:
ihre Netzwerke in Politik und Finanzwesen,
ihre Rolle als strategische Impulsgeber,
ihre Funktion als Talentschmiede der westlichen Unternehmenselite.
Viele der heutigen CEOs großer Konzerne stammen aus der Beratung. Ihre Denkmodelle, ihre Prioritätensysteme, ihre Sprache bilden die Blaupause für wirtschaftliches Handeln im globalen Westen. Die „Standardgraphen“-Schablonen sind die frühen Werkzeuge dieser späteren Machtträger.
Indem die Kunst sie ins Zentrum setzt, tut sie mehr als Reproduktion:
Sie legt das instrumentelle Denken frei, das unsere Ökonomie strukturiert.
Sie zeigt das Gerüst, auf dem Geschäftsmodelle entworfen, Supply Chains optimiert und ganze Arbeitsmärkte reorganisiert wurden.
Man könnte sagen: diese Bilder zeigen die X-Rays des Kapitalismus.
V. Zwischen Ikonografie und Kritik – Die Kunst als Gegenmodell zur Beratung
In den Gemälden begegnen sich zwei Welten:
die analytische Welt der Beratung, die alles vermessen will,
und die expressive Welt der Malerei, die sich dem Messbaren entzieht.
Der Künstler schafft einen Raum, in dem ökonomische Sprache ästhetisch entwaffnet wird. Die Formerinnerung bleibt bestehen, doch ihre Funktion ist gelöscht. Kein Marktsegment wird berechnet, kein Diagramm gezeichnet. Die Schablone existiert nur noch als Abdruck, als stumme Zeugin einer Ära der Vereinfachung.
Die weiße Fläche um sie herum, scheinbar homogen, tatsächlich voller Nuancen, wird zur Metapher für etwas, das die Beratung nie einfangen konnte:
die Komplexität, Unschärfe und Unplanbarkeit der Welt.
VI. Schlussbetrachtung: Die Rückkehr des Ungeordneten
Diese Bilderserie ist mehr als nostalgischer Blick auf einen analogen Büroartikel. Sie ist ein kritisches Tableau der westlichen Wirtschaftsgeschichte. Die übermalten Graphen fungieren als Hinweis auf die strukturelle Gewalt des Rationalisierungsdenkens, das die Welt in Kategorien, Kästchen und Pfeildiagramme zerlegt hat. Und doch, in den Zwischenräumen des Weiß, in den Farbsäumen, in den unübersehbaren Unregelmäßigkeiten, bricht das Leben hervor.
Was bleibt, ist die Ahnung einer Welt hinter der Optimierung.
Die Erinnerung an eine farbige, vielfältige Wirklichkeit, die sich nicht vollständig standardisieren lässt.
Eine Welt, die weiterhin durchscheint, trotz aller Schablonen.
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Measuring the World – and the Flicker of What Remains Hidden
An Essay on the “Standard Templates” Series, Based on Original McKinsey Tools
Certain objects endure in cultural memory not because of their aesthetic qualities but because of the power structures they embody. The standard templates from McKinsey & Company are among those artefacts. Once ubiquitous in boardrooms, handed out to clients and partners as tokens of methodological discipline, they encapsulated the worldview and ideology of the most influential consulting firm on earth.
Two decades later, these long-obsolete plastic templates reappear in a radically different form: transformed into large-scale paintings, submerged in white paint, yet still permeated by flickers of color that defy erasure. These works are not nostalgic reproductions; they are a critical re-reading a reframing of the consulting gaze through the medium of art.
I. The Consulting Artefact – McKinsey as a Global Architect of Thought
McKinsey & Company, often described as a “shadow architecture” of global business, has shaped decision-making processes for decades. Its alumni populate C-suites across industries, serve in government ministries, advise global funds, and influence the structures of Western corporate governance.
Within this system, the standard template a simple, brightly colored piece of plastic was far more than a functional item. It was a symbolic tool:
circles for markets and submarkets,
rectangles for profit pools,
arrows for growth strategies,
diamonds for decision nodes,
rulers for quantifying the barely quantifiable.
The template promised order. It gave the analyst the illusion of control data as world, world as diagram.
II. Optimization and Obscuring – The White Layer
In the paintings, the artist keeps the template as the central structural form but intervenes through a thick white overpainting. It resembles a cleansing operation a corporate “reset,” a managerial attempt to rewrite complexity.
Yet the white layer fails.
And through this failure, truth emerges.
Color bleeds through the surface. The brightness of the underlying world survives the act of erasure. The works become metaphors for the consequences of large-scale transformation programs reorganization, restructuring, operational excellence efforts that attempt to optimize the world but never fully succeed.
Despite all Key Performance Indicators, despite all benchmarks, something remains unoptimized.
III. Color as Memory – The Primary World Beneath the Whitewash
The color variations, blue, yellow, green, red, orange, are not decorative. They are historical traces, reminders of the templates in use on conference tables, in project rooms, under fluorescent lights. The artist magnifies them from 30 cm to 120 cm and turns them into artefacts of contemplation.
This scaling transforms a mundane office tool into a totem of managerial culture. The museum frame produces the critical distance that allows us to see the template as a cultural symbol rather than a functional instrument.
IV. The Invisible Power Networks of Consulting
Anyone familiar with the history of McKinsey knows its reach:
its networks in business, finance, and politics,
its role in structuring executive decision-making,
its influence on global market logic.
Many contemporary CEOs began their careers as consultants. Their frameworks, their vocabulary, their metrics shape the business landscape. The templates in these paintings were once their training tools silent companions in the formation of economic power.
The artworks reveal the skeleton beneath the surface of capitalism.
V. Art as Countermodel
In these paintings, two worlds collide:
the analytical, quantitative logic of consulting,
and the expressive, unmeasurable world of painting.
The result is a visual dialectic: the template loses its purpose, the white layer becomes a gesture of resistance, and the colors beneath recall a world too complex to be standardized.
VI. Conclusion – The Return of the Unordered
These works are more than enlarged office relics. They are critical monuments to an era defined by rationalization. The painted-over graphs reveal the structural violence of simplification while simultaneously pointing to the vitality that persists beneath it.
Despite the tools of measurement, the world refuses to be fully diagrammed.
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